Herbert Grönemeyer sang schon vor vielen Jahren “Männer nehmen in den Arm, Männer geben Geborgenheit”. Da ist was dran, doch ich verstand nur die Hälfte. Lange Jahre dachte ich, dass dies nun meine Rolle sei. Ich war der “Gebende”, doch konnte ich nicht geben, fühlte ich mich nicht gebraucht.
Lange Jahre konnte ich Geborgenheit nur mit Frauen spüren und auch nur, wenn ich das bekam, was ich wollte – in gefestigten Rollenbildern. Hier fühlte ich mich sicher, erhielt mütterliche Fürsorge in Beziehungen, in dem ich Geborgenheit verschenkte. Mein System konnte sich im intimen Kontakt entspannen. Ich kannte nur eine Art, mich einer Frau nah zu fühlen, mich selbst zu spüren: Sex.
Eine kurze Auszeit in festgelegten, sexuellen Rollen und Spielregeln, um dem stressigen Alltag zu entgehen. Eine kurze Verschnaufpause für mein angespanntes Körpersystem. Druck abbauen und Loslassen. Doch irgendwas in mir blieb immer leer. Der Spannungsabbau war nie von Dauer. Ich brauchte immer mehr. Gleichzeitig wuchs in mir das Bedürfnis, Kontrolle zu übernehmen. Dominant zu sein und zu führen. Alles, um die Kontrolle über mein Leben zu behalten; die Unsicherheit meiner Existenz zu überdecken.
Dies hatte leider zur Folge, dass meine Gegenüber diesen Druck ebenfalls fühlte. Oftmals bekam ich von Partnerinnen zu hören, dass sie nicht “herhalten” wollten, für meine Entspannung. Wie oft taten sie Dinge, um mir zu gefallen, sich selbst entlastend, indem sie mich entlasteten. Ich wurde selbst zum Täter. Ich rannte von einer sexuellen Spielart zur nächsten. Probierte Offenheit und Extreme. Auf der Suche nach kurzzeitiger Entspannung zerbrachen mehrere Beziehungen, wie hier sehr viele von euch mitbekommen durften.
Nichts davon war falsch und Teil meines Weges. Aus den Fehlern durfte ich lernen. Mit den Jahren erkannte ich meine Muster und die Fallen, in die ich immer wieder blindlings tappte: ich konnte Nähe nur auf genau eine Art zulassen. Ich setze alles daran, um so oft wie möglich mit meiner Partnerin zu sein, die Chance auf Sex zu erhöhen. Natürlich fühlten sie sich eingeengt und kontrolliert. War sie nicht verfügbar, traf ich mich mit Freundinnen, um wenigstens da ein wenig Nähe und Entspannung zu spüren.
Zeit unter Männern zu verbringen war für mich immer mit irgendeiner Art von Stress verbunden.
Das Jahr 2023 ist für mich ein sehr besonderer Neuanfang. Ich nahm mir vor, mehr nach außen zu gehen. Mich von innen heraus zu zeigen, Dinge zu erforschen, die ich so noch nicht kannte. Wie kann ich noch Nähe spüren? Im Kontakt mit ALLEN Menschen? Um mich selbst tiefer zu fühlen, mich öfter im Miteinander zu entspannen?
In der ersten Januarwoche erwachte ich aus einem Moment der Meditation und setzte mich sofort an den Computer, um eine Einladung zu formulieren. Ohne zu wissen, wie es vonstatten gehen sollte, oder rational zu verstehen warum, war mir klar: Ich möchte einen Kreis der Berührbarkeit unter Männern ins Leben rufen. Einen sinnlichen Männerkreis.
Wie viele von uns haben tiefe Wunden mit Brüdern erlebt, sich aus Vorsicht verschlossen? Wie oft haben wir uns auf Schlachtfeldern der Jahrtausende gegenüber gestanden? Um Glauben, Meinung, Vaterland, Richtig und Falsch getötet? Wunden, die aus der Tiefe heraus jeden Kontakt zu Freunden, Kollegen, Vorgesetzten, Familienmitgliedern und Mitarbeitern erschweren? Verletzungen, die Schutzmechanismen und Kampf auf den Plan rufen? Quatschen können Männer viel. Aber was heißt es, miteinander zu entspannen, wenn es endlich mal nicht um Meinungen geht? Wenn man(n) dafür nicht erst fünf Bier und andere Substanzen braucht, um weich zu werden?
“Männer geben Geborgenheit” … kann ich sie selbst annehmen lernen?
Spüren, dass auch ich loslassen darf?
Eine Woche später war es soweit. In einem Raum versammelten sich neun Wesen mit demselben Anliegen: Nähe zulassen, Grenzen erforschen, alte Wunden heilen.
Noch bevor ich die ersten Worte fand, bemerkte ich eine Qualität im Raum, die ich zuvor nie so spüren konnte unter Gleichgesinnten.
Alle waren in Stille hereingekommen. Aufmerksam. In Respekt.
Neugierig und verwundert saßen wir schweigend und schauten uns in die Augen. Da war Präsenz und Kraft, ohne ein Kräftemessen. Eeeeeeendlich kein Rumgelaber mehr!
Da war keine Frage nach sexueller Orientierung, nach Herkunft, Stand, oder Besitztümern. Wesen in männlichen Körpern, die sich unvoreingenommen begegnen wollten, ohne direkt die nächste Schublade zu basteln.
Wir trafen uns im Zweierkontakt, schauten einander lang und wertungsfrei in die Augen. Wir tanzten und sangen zusammen, schüttelten die Vergangenheit ab und schrien die alten Muster ins Meer des Vergessens. Wir hielten uns an den Händen und fühlten, wo in unseren Systemen noch Widerstand auftauchte. Manch einer saß am Rand und fühlte heftige Wallungen.
Eine Stunde später war das Eis restlos gebrochen. Fast alle lagen auf dem Boden, nebeneinander, miteinander. Ohne Anleitung, ohne Einladung. Es schien, als hätten alle Körpersysteme nur auf diesen Moment gewartet: endlich ankommen. Fallenlassen. Auf dem Boden der Tatsachen ankommen. Die Stille war endlos und tief. Sanftes Atmen im Raum. Kein Brauchen und kein Wollen mehr. Ein intensionsloser Raum der Nähe. Das Ende des Kampfes.
Mindestens fünfzehn Minuten lagen wir schweigend und regungslos. Uns gegenseitig berührend. Wann war dies in der Geschichte schon einmal mit uns passiert?
Danach war die Stimmung herzlich und gelöst. Wir wünschten und verschenkten uns Massagen.
Im abschließenden Kreis wurde mehrfach ausgedrückt, wie heilsam und einzigartig dieser Raum der Nähe gewesen sei. Die seelische Berührung war greifbar. Doch auch Traurigkeit, Schmerz und Wut waren präsent und eingeladen.
Menschen über dreißig. Keiner hatte so etwas zuvor erlebt. Warum?
Dies drücke ich nicht aus, um mir selbst auf die Schulter zu klopfen. Ich möchte einen leichten Geschmack hinterlassen von: Was ist noch alles möglich, wenn wir aufeinander zugehen, wenn wir uns dazu entscheiden, den Kampf loszulassen? Wenn unsere Nervensysteme sich nicht mehr im Überlebensmodus verstricken und wir neue Wege finden, diese zu entspannen? Kooperation kann nur gelingen, wenn wir uns selbst in unseren Mustern erkennen. Ich kann nicht erwarten, dass “der Andere” aufhört zu kämpfen. Der Kampf beginnt in meinem Nervensystem.
Wie würde wohl eine Politik aussehen, in der Menschen in einem Kreis des Respektes zusammenkommen, sich gegenseitig anhören, ausreden lassen, anstatt gemeinsam auf ein Podium zu starren, wo ein einzelner lauthals seine Meinung kundtut? Nicht mit dem Ziel der Verständigung, sondern mit dem Ziel, überzeugen zu wollen?
In indigenen Kulturen gab es schon immer die Zusammenkunft im Kreis. Eine Methode der Verständigung, die bei uns heute verloren gegangen scheint. Ein Raum, um Konflikte zu beleuchten, emotionale Heilung zu erreichen, Vergebung zu lernen und Entscheidungen zu treffen. In den letzten Monaten erlebte ich mehrfach magische Momente des Erkennens in solchen Konstellationen. Menschen begegneten sich ohne Masken, verletzlich. Es brauchte nicht viel. War die Einladung da, sich zu öffnen, zu zeigen, alle Emotionen zuzulassen, begannen die inneren Lösungsprozesse von selbst, gehalten von der Aufmerksamkeit der anderen Teilnehmer, die Ähnliches erfahren hatten.
Nun merke ich mehr und mehr, wie mein Weg dazu bestimmt war, meinen eigenen Kampf zu beleuchten, loszulassen und Menschen zu helfen, ihre Wege zu gehen. Hin zu einer Trauma-informierten Gesellschaft, die die Schuldigen nicht mehr “da draußen” sucht, sondern kreative Wege findet, besser mit dem umzugehen, was mal war, um den alten Schmerz nicht dauerhaft und kollektiv ins Morgen zu tragen.
Liebe Grüße Martin
Die Idee eines respektvollen Kreises der Zusammenkunft, in dem Menschen einander zuhören und Emotionen zulassen, statt auf Konfrontation ausgerichtet zu sein, ist faszinierend. Es zeigt, dass es alternative Wege gibt, um miteinander in Beziehung zu treten und Konflikte zu lösen.