Schon einige Jahre bewege ich mich mit meinem Bus durch die Welt und durch die Camping/Wohnmobil/Welt/Reise/Vanlife-Szene. Vier Räder fahren mit Menschen zum Zwecke X irgendwohin – für mich ist da immer nur ein Topf, da alle vom Einheitsdrang nach Individualität* angetrieben werden. Andere nehmen halt den Flieger aus den selben Gründen.
Türkisblaues Wasser, sandfarbene Strände, oder schneebedeckte Berge. Lächelnde Gesichter, die uns durch Kameralinsen und Smartphones bis ins verregnete Deutschland begleiten.
Und Lust machen … doch auf was?
Weise Sprüche zur Freiheit, zum Lebensglück, zur Stellplatzsuche und den nächsten Zielen werden gepostet.
WIR sind privilegiert.
WIR können überall hin.
Doch zu welchem Preis?
Was geben wir dem Rest der Welt mit unserem Handeln und was leben wir vor?
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Dieses Jahr war für mich anders. Ich hab mich an die eigene Nase gefasst. Das versuche ich zwar oft, aber dieses Jahr war ich konsequenter und befreiter unterwegs, als die Jahre zuvor. Schon viele hunderttausend Kilometer bin ich zu meinem eigenen Vergnügen über schwarzen Teer oder geschotterte Pisten gefahren. So wie ALLE hier. Genau wie jeder Berufspendler, der aber die selbstgewählte Entscheidung darin nicht erkennen mag und meint, er/sie müsse halt das Pendeln für den Job in Kauf nehmen (wenn´s nicht anders geht, hat mensch ja auch keine Verantwortung, oder 😉 ?)
Mein Bus lief dieses Jahr ganze 500km. Viermal fuhr ich von Dresden zu meinem Grundstück im Süden Brandenburgs. Ich bin glücklich und stolz, nach all den Jahren des Viel-Fahrens. Die meiste Zeit stand er in Dresden und ich nutzte meine kleine, autarke Wohnung hier als Basis. Ich lebe und arbeite zu 95% auf Solarstrom. Zum Beispiel um euch Filme, oder diesen Text hier gestalten zu können – und ja: Lithiumbatterie, Solarzellen, Kabel, Handy, Tablet, Laptop … alles kleine Helferlein, die an sich schon energetische Schattenseiten in sich tragen, wenn mensch ehrlich ist und genau hinschauen mag. Doch was machen wir nun mit diesem Wissen? Jedes Jahr neue Technik kaufen?
Wollte ich zu meinem Bauwagen auf dem Land, nutzte ich Verkehrsmittel, die ja sowieso schon am Rollen waren: Zug, oder Bus. Im Sommer war ich dann drei Monate mit dem Rucksack in Deutschland unterwegs, fuhr wieder mit den Öffentlichen oder hielt meinen Daumen am Straßenrand den Vorüberfahrenden entgegen. DAS ist echtes Abenteuer … mal nicht alles selber entscheiden, sondern dem Leben die Entscheidung zu überlassen, wo es als nächstes hingeht und in welcher Form. Ein empfehlenswertes Training in Geduld, Vertrauen und Hingabe. Mein Leben führte mich immer genau an die richtigen Orte der Entspannung, der Liebe, und wo ich etwas zu lernen hatte (nur so am Rande).
Die erste Hälfte dieses Jahres war ich wochenlang allein draußen in meinem kleinen Bauwagen – ein gemütliches Konstrukt, komplett aus Recyclingmaterialien zusammengesetzt. MR PINKs alte Solaranlage, eine kaputte LKW Batterie, Kochen und Heizen mit Holz. Welch eine Befreiung, morgens aufzustehen, die Küchenhexe anzuschmeißen, Wasser aufzusetzen und erst einmal eine halbe Stunde der Sonne entgegen zu gehen, bis der Kaffee heiß ist (über den könnte man natürlich auch so eine Abhandlung schreiben, ebenso wie über das Holz).
Vielleicht könnt ihr sehen, es geht mir hier nicht um Eigenlob und auch nicht um Schuld oder Vorwürfe. Reflexion triffts am Ehesten. Ich lade ein, einfach nur genauer hinschauen. Ich versuche meinen eigenen Verbrauch nach Kräften herunterzuschrauben, OBWOHL da draußen so viele andere das auch tun sollten/könnten/müssten.
Selbst diese Worte hier verschlingen Energie auf dem Weg zu deinen Augen. Wie lang wird dieser Text im Internetz gespeichert? Ein Jahr? Hundert Jahre? Noch in tausend Jahren? Diese Frage ist ernst gemeint.
Unsere Angst etwas zu verlieren und die daraus resultierende Speicherwut ist ja zur Zeit enorm.
Brauchen wir wirklich jedes „Ich-komm-fünf-Minuten-später“ an Mutti für alle Ewigkeiten auf irgendeinem heißlaufenden Server? Müssten „die“ Computerleute nicht eine Lösung parat haben? Oder wäre es nützlicher, die Nachricht einfach nicht zu schicken und zu vertrauen, dass Mutti wartet?
Ich will nicht darauf warten, dass mir jemand eine neue, energiesparendere Möglichkeit anbietet (die ja erst mal jahrelang entwickelt werden muss). Ich will einfach meinen eigenen Fußabdruck liebevoller gestalten und das geht so einfach.
In dem mensch Dinge einfach mal NICHT tut oder kauft oder fährt.
In dem ich nicht jeden Tag meinen Waldspaziergang fotografiere und euch hinwerfe.
Darüber kann man nun lachen, oder mir Vorwürfe machen, sich selbst angegriffen fühlen, oder direkt darauf hinweisen, dass es ja nichts bringt, so lange die anderen nicht mitmachen, die ja sowieso viel mehr Schuld daran sind. Aber das ist nicht der Punkt. Für mich geht es um meine eigene Integrität und um die Fragen, die sich mein Leben stellt. Es geht hier halt nicht nur um mich.
Es macht mir Freude zu verzichten: Diese Befriedigung, wirklich etwas einzusparen; dadurch innere Freiheit zu finden, ohne ein ständiges mehr wollen. Wer reich sein will, der kann immer härter und härter arbeiten. Oder einfach weniger ausgeben. Stehen bleiben. Schauen lernen. Im Zentrum des eigenen Hurricans.
Darf ich fragen, wie lang dein Wirbelsturm schon um dich herum tobt? Meiner tut es, so lange ich denken kann. Und genauso lange gibt es auch schon das stille Zentrum, welches ich leider nie wahrnahm. Eine Eigenart dieses Sturms ist halt, dass er suggeriert, dass man nicht auf ihn verzichten könne, weil da doch auch alle Anderen seien, die dann ja schräg gucken würden, wenn mensch die Herde verlässt.
Ich hab mir meinen Energieverbrauch ehrlich angeschaut und die Frage gestellt: Wenn alle so leben würden, wie ich … wie würde die Welt dann ausschauen?
Hier ist kein Raum für Dystopien. Den wollte ich nicht aufmachen – sehen wir schon häufig genug in den Nachrichten. Doch selbst ein nüchterner Blick in die eigene Realität kann schon ganz schön schockierend sein, trotz redlicher Bemühungen.
Wie kann die Utopie aussehen? Wie kann ich selber Teil davon werden? Wie kann ich eigene Vorstellungen entdecken und nach außen tragen? Was ist Liebe eigentlich? Das sind die Fragen meines Lebens, die ich bereisen mag.
Stelle ich mir die Frage, wie ich zu einem Wohnmobil und endlich weit weg von hier komme, kann es sein, dass ich ziemlich hart dafür arbeiten muss.Stell ich mir „nur“ die Frage, wie ich WIRKLICH glücklich sein kann, wird das Leben etwas direktere Antworten für mich finden. Leichtere, die vielleicht noch besser passen.
Das Leben folgt den inneren Fragestellungen. Probier´s gern aus.
Dieses Jahr habe ich mich dem Lernen, nicht dem Produzieren verschrieben. Auch ein Grund, warum ihr hier so wenig unseres Lebens mitbekommt. Der Winter 2021 allein im eingeschneiten Bauwagen war romantisch, schmerzhaft und erkenntnisreich. Doch nach zwei Jahren Reisefreiheit zieht mich die Fremde das erste mal wieder. Ich möchte den Winter gern im Süden verbringen. Ich breche in Richtung Portugal, Menschen und Gemeinschaften auf. Oasen in der Steppe sind ja auch in Brandenburg mein Ding. Ich werde Andenken mit nach Hause bringen, die nicht in eine Reisetasche gepackt werden können.
Nun komme ich mit meinen Werten in einen Konflikt: 1000km Fahrt bedeuten ca. 100 Liter Diesel (+ die Energie, die der Diesel auf dem Weg in die Tankstelle braucht).So wie es aussieht, werde ich in den nächsten Monaten ca. EINE TONNE Treibstoff verbrauchen. Meine „Ersparnis“ der letzten Monate ist dahin.
Und ich weiß nicht, wie ich das mit mir vereinbare. Ich werde nicht an Schuldgefühlen sterben, doch ich suche ernsthaft nach Lösungen, die nicht nur mein Gewissen reinigen.Und ich möchte in der Szene gerne Diskussion anregen. Wie gehen wir mit den Privilegien unseres Wohlstandes um?
Ganz liebe Grüße und danke für die Ideen.
Martin
#vanlife #ökologie #nachhaltigkeit #umwelt #wohlstand #kapitalismus #wohnmobil #camping #camper #Energieverbrauch #Diesel #tankstelle #paradox #mindset
*hat´s da leicht gekitzelt? Kam da Empörung hoch? Nicht schlimm … nur das Ego, was sich gern zu wichtig nimmt in der eigenen Einzigartigkeit.