Hier ist Schluss. Wir sind am Ende, weiter geht es nicht mehr. Hier hört alles auf … und jetzt!?
Ok, ganz so dramatisch ist es vielleicht doch nicht, aber wir haben einen weiteren Meilenstein auf unserer Reise erreicht: Kurz nach unserem einjährigen Reisejubiläum rollen wir an das Ende der Welt – Ushuaia, Argentinien. Die südlichste befahrbare Stadt der Erde, gelegen auf der Insel Feuerland. Danach kommt nur noch die Antarktis – weniger als 3000 km sind es bis zum Südpol. Zur Feier des Tages gibt es eine kleine Überraschung. Im Schnee verstecken sich zwei Flaschen eisgekühlte Radeberger … ein kleines Stück Heimat und das 14031 km Luftlinie davon enfernt. Prost!
Doch der Weg hierher war alles anderes als einfach, denn seitdem wir in den „Großen Süden“ und Patagonien vorgedrungen sind, hat es das Wetter nicht gut gemeint mit uns. Von plötzlichen Schneeeinbrüchen, über Hagel und Sturm bis Starkregen hatten wir so ziemlich alles dabei, was Petrus auf Lager hat. Zugegebenermaßen sind wir auf Wintercamping und solche extremen Temperaturen nicht eingestellt, aber wir sind ja bekanntlich hart im Nehmen. Tagsüber klettert dass Thermometer zwar schon auf sieben oder acht Grad (was so manchen Ushuaiaer dazu bewegt in kurzen Hosen und T-Shirt umherzulaufen!!!), doch mit Einbruch der Dunkelheit fällt das Quecksilber beständig unter die Null-Grad-Marke. Nachts vereisen die Wände und Fenster unseres Herrn Lehmann und am Morgen krabbeln wir erst wieder aus unseren dicken Daunenschlafsäcken, wenn die Standheizung läuft. Mehr als einmal ist Martin froh, dass er sich hat überreden lassen, eine Heizung in den Bus einzubauen, denn so können wir es uns so richtig mollig warm einheizen. Und wir stellen fest, dass wir nächtlichen Schneefall lieber haben als Regen, denn der trommelt ganz schön laut aufs Dach, außerdem wacht man dann in einem „Winterwunderland“ auf … und dass im August bzw. September! Es soll ja Leute geben die glauben, dass es in Südamerika immer warm ist, weils so weit im Süden liegt 😉
Wir sind aber nicht die einzigen Reisenden, die im patagonischen Winter unterwegs sind. So kreuzen u.a. chilenische Overlander unseren Weg, Rucksacktouristen gibt es sowieso an jedem Ort und zu jeder Zeit, auch deutsche Motorradreisende kommen uns entgegen und wir denken: DIE sind WIRKLICH verrückt! Wir können wenigstens im warmen, trockenen Bus sitzen und sind nicht ganz so erbarmungslos dem Wetter ausgesetzt. Und auch wenn der berühmt-berüchtigte patagonische Wind im Herbst und Winter weniger stark weht, schütteln uns doch immer wieder heftige Böen durch. Der allerverrückteste Reisende, den wir treffen, ist Steve auf seinem Zweirad. Ein gebürtiger Brite, ausgewandert nach Uganda, der sich vorgenommen hat die ganze Welt mit seiner 1200er BMW in Etappen zu bereisen. Da er immer nur zwei Wochen Reisezeit hat und er in dieser kurzen Zeit möglichst viel „erfahren“ will, hat er sich vor wenigen Tagen in Buenos Aires aufgemacht, um nach Ushuaia, Feuerland zu brettern: Sind ja nur 3000 Kilometer. Pro Strecke. Doch wie es Murphys Gesetzt so will, schafft er die 6000km Hin- und Rückweg doch nicht in zwei Wochen. Nachdem wir Steve mit ein paar Litern Benzin (dank unseres Coleman Kochers haben wir ja immer einen kleinen 10-Liter-Kanister dabei) bis zur nächsten Tankstelle aushelfen konnten, sehen wir ihn etwa eine Stunde später bis zu den Knien tief im Matsch stecken. Glück im Unglück für ihn, denn wir sind auf die Strecke, die von Kilometer zu Kilometer immer schlechter wurde, zufällig geraten, als wir einmal falsch abgebogen sind. Mit unserem Hecktriebler haben wir uns zwar irgendwie bis hierher gequält (und Martin hatte seinen Spaß dabei), aber Steves Kupplung verrauchte durch den ekligen Matsch, der an den Füßen, Rädern, … einfach überall wie Beton klebt. Da gar nicht daran zu denken ist, die BMW mittels Herrn Lehmann – der ja selbst zu kämpfen hat – zu befreien, geschweige dem das Riesenteil in unseren Innenraum zu laden, machen wir uns auf die Suche nach einem Pickup und ein paar tatkräftigen Händen, die mit anpacken können. Erst da fällt uns auf, dass wir seit dem Verlassen des letzten Örtchens vor über einer Stunde, keiner Menschenseele außer Steve begegnet sind. Wir wühlen uns also weiter mit Herrn Lehmann durch den Matsch, bleiben stecken und immer wieder das gleiche Spiel: Sandbleche raus, schieben, weiter geht’s. Das wir nach kurzer Zeit aussehen wie die Schweine, brauch eigentlich nicht extra erwähnt werden, oder? Als wir nach etwa 15 Kilometern das erste Haus erreichen (eine große Farm die hier Estancias heißen) lernen wir, dass der nächste Nachbar vom Bauern 30 Kilomter entfernt wohnt und er selbst kein Auto besitzt. Pferde sind da viel zuverlässiger. Und er fragt uns, warum wir nicht die befestigte Straße genommen haben. Ja, das fragen wir uns auch und Steve sich wahrscheinlich noch viel mehr … Also „eiern“ wir wieder mit rutschendem Heck zurück. „Fährste quer, siehste mehr“ lautet das Motto des Tages. Mittlerweile ist immer noch kein einziges Auto aufgetaucht was irgendwie helfen könnte und leider haben wir bei all der Aufregung auch vergessen ein Foto zu machen. Es wird entschieden: Das Motorrad bleibt zurück und wir schaffen Steve in die letzte größere Ortschaft (40km entfernt), in der es immerhin ein Hotel und eine Polizeiwache gibt. Wie die Geschichte ausgegangen ist, wissen wir zwar (noch) nicht, aber wir lernen, dass umdrehen manchmal eben doch der bessere Weg ist …
Das Fahren bei den unterschiedlichen Witterungsverhältnissen erfordert viel Konzentration und Herr Lehmann kämpft sich wacker durch Schnee, über Glatteis und durch den tiefen Matsch. Um für derartige Straßenverhältnisse gerüstet zu sein, haben wir uns extra noch ein paar Schneeketten gekauft. Zum Glück weiter im Norden, denn dort war bereits Winterschlussverkauf. Wenn die wüssten … Und wenn es mal mit dem Straßenbelag klappt, gibt es andere Dinge, die das Fahren erschweren: Beschlagene Scheiben von innen, verschmierte Scheibenwischerspuren von außen, hochgespritzer Dreck und Steine vom Gegenverkehr. Irgendwas ist ja immer … Aber, von nun an geht’s aber wieder zurück nach Norden und das heißt: Sommer, wir kommen!!!
Ein ganz anderes Kuriosum auf dem Weg nach Süden sind die bei Reisenden stets verhassten Grenzen. Chile und Argentinien haben eine gemeinsame, über mehre Tausend Kilometer verlaufende Grenzlinie. Allein auf den letzten Kilometern bis Feuerland haben wir diese dreimal überquert und manchmal wussten wir selbst gar nicht mehr, in welchem Land wir eigentlich gerade sind. Zwar laufen die Übergänge weitaus geordneter und transparenter ab, als in Mittelamerika (siehe unser Bericht: GRENZwertigeERFAHRUNGEN) aber dafür gibt es strikte Einfuhrverbote von Lebensmitteln. Frisches Obst und Gemüse, Fleisch, Milchprodukte … kurzum: Eine ziemlich lange Liste, aller Produkte die verboten sind. Warum die verboten sind, erschließt sich uns allerdings nicht wirklich, denn Keime und Bakterien machen ganz bestimmt nicht vor einem Schlagbaum zwischen Chile und Argentinien und ein paar Milchbubis in Uniform Halt …
In einem rollenden Häuschen, wie unserem findet sich immer etwas Verbotenes und das müssen wir dann vor den Grenzen „kreativ verstauen“, bevor es uns durch die Kontrolleure weggenommen wird. Ein paar hübsch drappierte Lebensmittel im Kühlschank, z.B. eine angegammelte Tomate oder ein halber Liter saurer Milch, können Wunder wirken. Da haben alle was davon – die Kontrolleure freuen sich, etwas erbeutet zu haben und wir freuen uns, dass sie unsere anderen leckeren Sachen nicht gefunden haben. So schnell sind alle Beteiligten glücklich und zufrieden zu stellen. Zwei weitere südamerikanische Grenzübergänge warten noch auf uns, denn selbst die Insel Feuerland – im spanischen „Tierra del Fuego“ – besteht aus einem chilenischen und einem argentinschen Teil.
Bei strahlenden Sonnenschein verlassen wir die südlichste, befahrbare Stadt der Welt. Und so heißt es für uns nun: Wir müssen aus Feuerland zurück – nach Hause, im Wienerwalzerschritt. Wobei … „nach Hause“ ist mehr als nur übertrieben, wir haben ja noch 10 Monate Zeit für weitere Abenteuer mit unserem Herrn Lehmann 😉